In Argentinien kämpft Juan C. Figueredo gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur durch das Agrobusiness. Im Interview spricht er über die Wirtschaftskrise in seiner Heimat, das geplante Freihandelsabkommen und Ansätze für ein „gutes Leben für alle“.
Argentinien kämpft mit einer schweren Wirtschaftskrise. Was bedeutet das für die Bevölkerung?
Juan C. Figueredo: Die Wirtschaftskrise wurde ausgelöst von der derzeitigen Regierung unter Präsident Mauricio Macri, die das neoliberale Modell bevorzugt. Weit davon entfernt der Gemeinschaft zu dienen, führte dies zur Vernichtung nationaler Industrien. Kleine und mittlere Unternehmen wurden schwer geschädigt. Unzählige Arbeitsplätze gingen verloren. Der Preis von Lebensmitteln und öffentlichen Dienstleistungen wurde am Dollar ausgerichtet, das Land hat sich in unvorstellbarem Ausmaß verschuldet. Das argentinische Volk ist heute schwer geschädigt. Die Konsequenzen dieser politisch-wirtschaftlichen Maßnahmen zeigen sich in der steigenden Armut, den vielen Arbeitslosen, den vielen Menschen, die zum Grundlegendsten wie Ernährung, Gesundheit, Sicherheit, Bildung keinen Zugang haben. Ausspeisungen in Wohnvierteln und Volksküchen nehmen täglich zu.
Die argentinische Regierung setzt auf den Export von Agrarprodukten, auch nach Österreich. Wer profitiert von dieser Politik?
Laut unserer Regierung soll Argentinien „der Supermarkt der Welt“ sein. Das bedeutet, dass Lebensmittel nach dem Exportwert, dem Dollar, ausgerichtet sind. Steigt der Dollar, erhöhen sich die Preise. Es gibt Lebensmittel für die, die sie bezahlen können. Auf der anderen Seite werden Lebensmittel importiert, die von schlechter Qualität, aber billig sind: Lebensmittel für die Armen. Der Export ist in der Hand von Unternehmen, wo Kapital und Macht konzentriert sind. Oft sind sie gleichzeitig die Importeure der Lebensmittel für die Armen. So profitieren internationale Konzerne und Kapitalgesellschaften. In Argentinien ist Nahrung nicht länger ein Menschenrecht, sondern ein großes Geschäft. Einige Wenige machen das große Geld und die Mehrheit isst billigen “Müll”, der in glänzendes Papier verpackt ist.
Wer sind die „Verlierer“?
Wirtschaftsfachleute rechnen damit, dass 40 Prozent der Argentinier bis zum Ende dieses Jahres in Armut leben werden: Vor allem die informell Beschäftigten, die Arbeitslosen, die Ausgeschlossenen, ländliche Gemeinden, indigene Völker. Als Land produzieren wir Lebensmittel bester Qualität, die woanders konsumiert werden. Als “verarmte” Bevölkerung versorgen wir uns mit importierten Lebensmitteln schlechter Qualität. Es ist klar, dass die verarmte Bevölkerung so zu den Verlierern zählt. Aber auch die globale Gesellschaft. Humanität, Gerechtigkeit, fundamentale Rechte bleiben auf der Strecke.
Sie setzen sich mit der Organisation INCUPO für die Rechte dieser Menschen ein. Wie sieht die Hilfe aus?
Seit 48 Jahren begleitet INCUPO indigene und bäuerliche Gemeinschaften in marginalisierten Regionen. Wir treten für den Schutz von Wäldern ein, die selbst ein unerschöpflicher „Supermarkt“ sind mit ihrem breiten Angebot an Nahrungsmitteln, Tierfutter und Heilkräutern. Sie erzeugen auch Sauerstoff und sind gut für das Klima. Wichtig ist auch der Schutz von indigenen Kulturen, mit ihrem großen Wissen über menschliche Beziehungen zur Natur und Spiritualität und ihrem sozialen Gemeinwesen. Wesentlich ist, dass sie für sich selbst sprechen können, um ihr Recht auf Land zu verteidigen und selbst Lebensmittel zu produzieren – in Eintracht mit der Natur.
Aktuell verhandelt die EU mit den MERCOSUR-Staaten über ein Freihandelsabkommen. Wie schätzen Sie die Auswirkungen eines solchen Abkommens ein?
Das größte Problem dieser Verhandlungen ist, dass die Bevölkerungen und ihre Interessen dabei nicht vertreten sind. Am Tisch sitzen Unternehmensgruppen und Konzerne, die einerseits Schlüsselsektoren der Wirtschaft dominieren und in weiterer Folge die Abkommen. Was wir allerdings wissen ist, dass Verhandlungsfortschritte bei den Primärgütern, die in indigenen Gebieten produziert werden, zu einem weiteren Verlust von Wäldern und Territorien führen werden, zu weiteren sozialen Konflikten, zu Gewalt, zu weiterer Verletzung von Menschen- und Umweltrechten. Wie schön wäre es, wenn wir an Stelle von Freihandelsabkommen von Abkommen für eine nachhaltige und gerechte Entwicklung sprechen würden. Global und ganzheitlich, um Wohlergehen für alle Betroffenen sicherzustellen.
Juan Carlos Figueredo ist im Oktober zu Gast in Wien und der Steiermark.
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