„Die echte Revolution ist im Kopf“

Foto: Ernst Zerche

Der ägyptische Islamwissenschaftler Samir Khalil Samir plädierte bei einem Vortrag in Graz für eine „echte Revolution“ des Denkens und der Bildung im Nahen Osten.

Die Revolutionsbewegungen des „Arabischen Frühlings“ hatten Umstürze, Bürgerkriege, neue Machtverhältnisse und die Ausbreitung des Terrorismus zur Folge. Im Nahen Osten zahlen auch die Christen einen hohen Preis, viele mussten emigrieren. Was sind die Ursachen dieser Entwicklung und was kann insbesondere Europa tun? Der ägyptische Jesuit Prof. P. Samir Khalil Samir SJ ist ein profunder Kenner der arabisch-christlichen Welt. Am 3. Mai war er auf Einladung von Welthaus Graz zu Gast im Zentrum für Weiterbildung der Universität Graz, wo er zum Thema „Nach der Revolution. Die arabisch-christliche Welt im Umbruch“ sprach.

„Demokratie? Kennen wir nicht.“

Demokratie würden die meisten Menschen im Nahen Osten nicht kennen. Es existiere nicht einmal ein arabisches Wort dafür, erklärte Samir. „Daher macht der mit den meisten Waffen und Kämpfern, was er will.“ Der Arabische Frühling sei für viele eine große Hoffnung gewesen, meinte der Berater von führenden kirchlichen und politischen Persönlichkeiten im Nahen Osten und in Europa. „Aber schnell haben wieder die alten Kräfte reagiert und wir sind zur früheren Situation zurückgekehrt.“

Die Lage der Christen im Nahen Osten sei heute sehr schwierig, meinte der ägyptische Jesuit. So würden die Behörden in Ägypten die meisten Ansuchen auf den Bau von Kirchen blockieren. Heute seien über 1000 Kirchen in Ägypten illegal. Inzwischen habe jedoch Präsident Al-Sisi etwa 100 Kirchen legalisiert. Das islamische Recht gelte zudem für alle, auch für Christen, was sich etwa bei Erbschaften negativ auf Frauen auswirke.

Die Extremisten und ihre Förderer

Die islamistischen Bewegungen bezeichnete Samir als eine kleine, aber sehr effizienter Minderheit. Finanzielle Unterstützung würden sie von arabischen Ländern erhalten. Die Waffen kämen allerdings hauptsächlich aus den USA und Europa. Die Rolle von Saudi-Arabien bei der Unterstützung von extremistischen Gruppierungen kritisierte Prof. Samir scharf. Andererseits verwies er auf zaghafte Reformversuche unter dem saudischen Prinzen bin-Salman, etwa zur Verbesserung der Situation der Frauen in der Gesellschaft.

Die Situation in Syrien sei traurig und schwierig, meinte P. Samir. In dem ehemals laizistischen Staat habe Religion keine Rolle gespielt. Heute hätten die unter Präsident Bashar al-Assad regierenden Alewiten und andere religiöse Minderheiten Angst vor der Rache der Sunniten. Millionen Menschen seien inzwischen aus den Kriegsgebieten in Syrien und Irak geflüchtet. Die Integration dieser Menschen stelle Europa vor große Herausforderungen. Das Erlernen der neuen Sprache sei dafür eine Grundvoraussetzung. Aber die Anpassung an Verhaltensregeln und Normen sei für eine erfolgreiche kulturelle Integration unumgänglich.

Demokratie durch „mentale Revolution“

Welche Vision habe er für den Nahen Osten? „Europa bleibt ein positives Muster. Die echte Revolution passiert im Kopf und im Herzen.“ Bisher denke nur eine Minderheit in diese Richtung, und diese habe keine Macht. Offiziell betrage die Analphabetenrate in Ägypten 40 Prozent. Eine „mentale Revolution“ im Bildungssystem sei daher grundlegend für eine demokratische Entwicklung.