„Kündigung des Iran-Atomdeals könnte fatale Folgen haben.“

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Der Nahost-Experte und Autor Gerhard Schweizer plädierte bei einem Vortrag in Graz dafür, den Iran mit allen seinen Gegensätzen wahrzunehmen und die Reformkräfte zu stärken.

Der Iran wird immer mehr zu einer dominierenden Regionalmacht im Vorderen Orient. In den internationalen Medien ist das Land dauerpräsent – von den Spannungen  wegen des Atomdeals über die Beteiligung an den Kriegen im Irak, Syrien und Jemen bis zum Konflikt über das Referendum der Kurden. Entsprechend groß war das Interesse, als der Nahostexperte und Autor Gerhard Schweizer am 4. Oktober im voll besetzten Grazer Barocksaal zum Thema „Iran verstehen“ sprach. Schweizer, einer der führenden Experten für die Analyse der Kulturkonflikte zwischen Abendland und Orient, hat den Iran zuletzt im Herbst 2016 bereist. Dieser Tage erscheint sein gleichnamiges Buch über den Iran in einer aktualisierten, stark erweiterten Neuauflage.

„Als Westler wird man heute im Iran sehr positiv empfangen“, erklärte Schweizer. „Ganz anders als bei meiner ersten Iran-Reise 1964.“ Wirtschaftssanktionen und die Verhandlungen um das iranische Atomprogramm hätten das Land gezwungen, sich dem Westen zu öffnen. Heute sei der Iran geprägt von Gegensätzen, zugleich Diktatur und Republik – mit einer hohen Zahl an Hinrichtungen, aber andererseits regelmäßigen Wahlen mit demokratischen Ansätzen und einer Vielzahl an systemkritischen Filmen und Büchern. Schweizer plädierte dafür, den Iran nicht mit Regimen wie Saudi-Arabien oder den Golf-Emiraten auf eine Ebene zu rücken. Angesichts des zunehmenden Einflusses als Regionalmacht sei es notwendig, die existierenden Gegensätze im Iran zu verstehen, zwischen den verschiedene Strömungen des Landes zu unterscheiden und die Reformkräfte zu unterstützen. „US-Präsident Obama hat das erkannt, daraus resultierte auch das Atomabkommen.“ Trumps Politik bedeute nun eine radikale Abkehr.

Fundis gegen Reformer

Bei einem Streifzug durch die iranische Geschichte machte Schweizer deutlich, dass fundamentalistische Bewegungen im Iran erst durch die große soziale Not und die fehlende Reformbereitschaft unter dem Schah Aufwind erhielten. Die Revolution von 1979 habe bei vielen Iranern die Erwartung geweckt, dass nach der „säkularen Diktatur“ des Schahs nun eine „islamische Demokratie“ folge. Doch das Regime unter Ajatollah Khomeini habe sich auf Dauer nur durch die Unterdrückung oppositioneller Kräfte halten können; dabei seien viele dieser Kritiker selber aus der Bewegung der „Islamischen Revolution“ hervorgegangen. Heute sei das Land vom Konflikt zwischen Reformern und Fundamentalisten geprägt – wie bereits 1989, als Khomeinis designierter Nachfolger Ajatollah Montaseri aufgrund seiner liberalen Positionen nicht an die Macht kam. An seine Stelle sei Ajatollah Khamenei gerückt, ein strikt linientreuer Vertreter der Khomeini-Doktrin, der bis heute die ideologischen Richtlinien des religiös-politischen Regimes vorgebe.

Kritische Geister gibt es im Iran der Gegenwart zur Genüge

Die steigende Bildung und Kritikfähigkeit der iranischen Bevölkerung hätten aber später auch zur Wahl von gemäßigten Präsidenten geführt, zum Beispiel des religiös moderaten, reformorientierten Geistlichen Khatami – gegen den Willen von Staatsoberhaupt Khamenei. Die Konsequenz sei gewesen, dass Khamenei viele der Reformansätze des ihm untergeordneten Präsidenten abgewürgt habe.  „Kritische Geister gibt es im Iran der Gegenwart zur Genüge“, erklärte Schweizer mit einem Verweis auf zahlreiche Massenproteste wie etwa die niedergeschlagene „Grüne Revolution“ 2009. Diese Reformkräfte gelte es zu stärken und „den Iran nicht als monolithischen Block wahrzunehmen.“

Ebenso müsse der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten differenziert gesehen werden.  Noch vor wenigen Jahrzehnten seien die Spannungen zwischen beiden Konfessionen in der gesamten islamischen Welt erheblich geringer gewesen. Erst sunnitische Terror-Organisationen wie die der Al Kaida und des sogenannten Islamischen Staates hätten die Konflikte wieder verstärkt aufleben lassen, indem sie gezielt Attentate in schiitischen Moscheen verübten. Dies sei vor allem im Irak und Pakistan geschehen. Umgekehrt habe dies dann auch wieder die Affekte bei Schiiten neu entfacht. Aber es sei völlig falsch, hier nun dem schiitischen Iran die Hauptschuld zu geben, denn das Schwergewicht der Aggressionen finde sich bei den radikalen sunnitischen Fundamentalisten, die von Saudi-Arabien unterstützt  würden.

Explosive Situation

Die Behauptung von US-Präsident Trump sei daher irreführend, der Iran vor allem fördere den islamistischen Terror.  Besonders infam sei in diesem Zusammenhang, dass Trump mit keinem Wort auf die  verhängnisvolle Rolle des des US-Bündnispartners Saudi-Arabien eingehe – eines Staates, in dem die demokratischen Defizite erheblich größer seien als im Iran. Fatal sei es auch, wenn Trump das 2015 erfolgreich abgeschlossene Atomabkommen mit dem Iran einseitig aufkündigen wolle. Dies würde die ohnehin schon explosive Situation im Nahen Osten noch instabiler, noch gefährlicher machen, warnte Schweizer.

Gerhard Schweizer war auf Einladung von Welthaus zu Gast in Graz. Die Einrichtung der Diözese Graz-Seckau setzt sich weltweit für die Menschenrechte – darunter das Recht auf Religionsfreiheit – ein. Einer der Schwerpunkte ist das Recht auf Religionsfreiheit. Infos: graz.welthaus.at

Zur Person: Gerhard Schweizer, 1940 in Stuttgart geboren, promovierte an der Universität Tübingen in Empirischer Kulturwissenschaft. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Wien, wenn er nicht gerade auf Reisen recherchiert und Material für neue Reportagen und Bücher sammelt. Er ist einer der führenden Experten für die Analyse der Kulturkonflikte zwischen Abendland und Orient und gilt als ausgewiesener Kenner der islamischen Welt. Gerhard Schweizer hat dazu mehrere Bücher veröffentlicht, die als Standardwerke gelten. Einem breiten Publikum wurde er vor allem durch seine Bücher über den islamischen Raum bekannt. Zuletzt erschienen von ihm „Syrien verstehen“,  „Islam verstehen“, „Türkei verstehen“.

Buchtipp: Gerhard Schweizer, Iran verstehen. Geschichte, Gesellschaft, Religion.  Klett-Cotta Verlag, 2017.

Entlehnbar in unserer Entwicklungspolitischen Mediathek

https://www.klett-cotta.de/buch/Gesellschaft_/_Politik/Iran_verstehen/84709