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„Ein Zurück zum Vorher kann es nicht geben“

Die Autorin Tanja Busse im Gespräch über das emotionale Thema Fleisch, die Angst vor Veränderung und einen Umbau des Agrarsystems, von dem fast alle profitieren würden.

In letzter Zeit ist oft von einer gespaltenen Gesellschaft die Rede, etwa bei der Pandemie-Politik oder dem Verkehrsthema. Täuscht der Eindruck, dass auch das Fleischessen so ein Reizthema ist, bei dem schnell die Wogen hoch gehen?

TANJA BUSSE: In unserer Familie in letzter Zeit ja. Mir ist bei der Recherche für mein Buch nochmal klar geworden, wie dringend es ist, dass wir ganz anders mit tierischen Produkten umgehen und das stößt glaube ich – wenn es zu missionarisch ist – auf Widerstand. Ich wüsste dazu jetzt keine Studien, aber ich könnte mir vorstellen, dass in dem Moment, wo sich eine fleischfreie Lebensweise ausweitet, es auch große Gruppen gibt, die das sehr heftig verteidigen. Ich glaube man kann das so erklären: In einer Gesellschaft, in der allen klar ist, es wird sich viel ändern müssen und es wird auch mit dem hemmungslosen Konsum so weitergehen, fühlen sich glaube ich manche Leute überfordert und haben das Gefühl, das ihnen das Vertraute weggenommen wird. Genauso, wie das Tempolimit für Aggressionen sorgt, ist auch hier das Gefühl, jetzt kommen die schon wieder und wollen mir auch noch mein schönes Schnitzel madig reden. Das führt glaub ich zu so ein bisschen Gegenwehr.

Ähnlich wie bei den Corona-Demos scheint es auch um die viel zitierte Freiheit zu gehen, die man sich nicht einschränken lassen will.

Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, das hängt zusammen. Um es auf eine wissenschaftlichere Ebene zu heben: Das Reingold-Institut ist ein Meinungsforschungsinstitut, das versucht, über lange Tiefeninterviews zu ergründen, warum Menschen wie reagieren. Im deutschen Bundestagswahlkampf haben sie Menschen zu Themen wie Energiewende und Nachhaltigkeit befragt und ihr Befund war: Es wissen im Prinzip alle, dass wir anders leben und konsumieren müssen, dass unser Verständnis von Freiheit und Konsum damit zu tun hat, wie wir gerade in multiple Krisen rasen. Im Prinzip weiß es jeder, nur gehen die Parteien und Menschen unterschiedlich damit um. Wer die Grünen wählt, weiß, es muss sich etwas ändern. Wer in Deutschland die FDP wählt, weist das eher so von sich und pocht auf seine Freiheit, aber eigentlich wider besseres Wissen. Und das ist ein schwieriger gesellschaftlicher Prozess. Weil in dem Moment, wenn jemand sein Recht, alles zu tun, als Freiheit stilisiert, ist es nicht damit getan, zu sagen: Du musst doch aber diese Argumente hören und dann einsichtig sein. Das ist auf einer tiefen emotionalen Ebene eine Abwehr von Angst, von Sorge, wie sich alles verändern wird, und das macht es nicht leichter.

Essen ja auch mit Emotionen verbunden. Alles, was man an Argumenten bringt, ist dann gleich einmal missionarisch.

Genau, auch wenn man es gar nicht missionarisch gemeint hat und absichtlich ganz vorsichtig argumentiert hat. Allein durch das schiere Angebot an veganen oder vegetarischen Speisen fühlt sich die „Fleischesser-Seite“ angegriffen. Das macht es auch schwierig im Umgang. Man darf dann nicht sagen: Unser Budget an tierischen Produkten ist erfüllt und jetzt ist Schluss. Sondern man muss wahrscheinlich eher im Sinne Ihrer Aktion dazu einladen, es in einem begrenzten Zeitraum mal auszuprobieren.

In Ihrem Buch „Fleischkonsum“ schreiben sie, die Fleischfrage sei mitentscheidend für die Zukunft des Planeten. Kann man das tatsächlich in dieser Deutlichkeit sagen?

Ich habe mich ja schon lange mit dieser Art von Landwirtschaft beschäftigt und mir waren all die Probleme bekannt. Dann gab es diese Studie aus Israel, die die Biomasseverteilung auf der Welt berechnet hat. Sie hat festgestellt, dass das Gewicht aller lebenden Nutztiere in der Landwirtschaft um ein Vielfaches höher ist als das sämtlicher wild lebender Säugetiere. Das hat mir noch mal das Ausmaß der Ressourcenströme, die für unseren Fleischkonsum um die Erde laufen, klar gemacht. Diese Schiffsladungen voller Soja aus abgeholztem Regenwald nach Europa und China. Diese unfassbaren Fabriken mit hunderttausenden Tieren, die mit einer bäuerlichen Landwirtschaft nichts mehr zu tun haben. Die Gülleströme, die da rausgehen. Ein sich um die Erde spannendes Ver- und Entsorgungsnetz zu diesen Tierproduktionsanlagen und daran hängend riesige Flächen von Regenwald oder degeneriertem Ackerland. Das ist nicht das einzige Problem auf dieser Welt. Aber es ist ein massiver Treiber für den Biodiversitätsverlust und für die Klimakrise.

Wie könnte man das System anders aufziehen?

Ich glaube, das ist die gute Nachricht: Obwohl ich schon lange vegetarisch lebe, würde ich nicht sagen, das müssen alle Leute sofort auch machen. Die einfache Rückbindung der Tierhaltung an die Fläche wäre schon ein riesiger Gewinn, um diese Futtermittelströme zu begrenzen. Ganz wichtig ist dabei die ursprüngliche Lebensform der jeweiligen Tiere. Rinder und Schafe haben quasi eine Ko-Evolution mit den Graslandschaften dieser Erde durchlebt und sind wunderbar angepasst. Bei einer richtigen Art der Beweidung können Rinder Humusaufbau im Boden fördern. Sie sind dann gar nicht mehr klimaschädlich, sondern können helfen, dass dieser Boden mehr CO2 speichert. Wenn sie auf großen Weiden leben, die sie von der Fläche ernähren können, dann bringen sie auch einen unheimlichen Nutzen für die Biodiversität. Wir brauchen Weidetiere, um Gebiet offenzuhalten für Wiesenvögel. Jeder Kuhfladen produziert über das Jahr sozusagen tausende Insekten. Eingebunden in die Ökosysteme, in die europäische Kulturlandschaft, haben die Weidetiere eine ganz große Rolle. Aber das sind dann natürlich viel weniger Tiere, als wir im Moment haben.

Und bei den Schweinen muss man sagen: Diese unfassbaren Mengen können wir nur halten, weil wir das Schwein quasi zum Nahrungskonkurrenten des Menschen gemacht haben und ihn mit Lebensmitteln füttern, die wir direkt für die menschliche Ernährung verwenden könnten. Deshalb müssen vor allem die Schweinzahlen runter und das Schwein müsste wieder in diese alte Rolle als Resteverwerter kommen. Wenn man wenige Schweine in einem großen Betrieb mit anfallenden Resten wie etwa Molke aus der Käseproduktion füttert, dann hat es eine Berechtigung in einer Kreislaufwirtschaft. Aber die Fütterung etwa mit Sojabohnen und Getreide ist problematisch.

Wie sieht es beim Geflügel aus?

Wenn es darum geht, wie viel Energie an Futtermitteln man braucht, um eine bestimmte Menge Fleisch zu erzeugen, da ist das Geflügel unschlagbar effizient. So argumentiert natürlich auch die Geflügelindustrie. Aber das ist nur die enge Fassung. Denn diese Art von Geflügelproduktion ist überhaupt nur möglich durch einen hohen Einsatz von Antibiotika. Man kann also nicht sagen, dass das nachhaltig ist. Man muss also immer den großen Zusammenhang bei der Fleischproduktion sehen und da gibt es eben Probleme wie die Futterflächen, die Antibiotika, vom Leid der Tiere in den großen Ställen gar nicht zu reden.

Wenn aber etwa Hühner gemeinsam mit Kühen auf der Weide stehen, gibt es große Synergien: Die Hühner picken die Fliegenlarven weg und holen sich Proteine aus den Insekten und minimieren dadurch gleichzeitig den Einsatz von Pestiziden. Aber sind dann aber natürlich wieder wesentlich weniger Tiere, als jene, die heute in den Ställen gehalten werden.

Das würde dann aber bedeuten: Zurück zum Sonntagsbraten, Fleisch als etwas Besonderes, das man ab und zu genießt.

Das betrifft ja eigentlich alle Konsumbereiche. Wir haben uns daran gewöhnt, das wir jederzeit alles kaufen können. So ist es auch mit der Ernährung, das wir uns an das zurückbinden müssen an das Budget, das uns auf der Welt zusteht. Da steht dann nicht: Man schlachte mir jeden Tag ein Rind, damit mein Steak verzehren kann und den Rest schicke ich sonstwohin. Sondern weniger Fleisch und nicht nur den Verzehr der „Edelteile“ wie Kotelett oder Hühnerbrust, sondern die Verwertung des ganzen Tieres. Das ist völlig verloren gegangen und auch nichts, was ein Supermarkt vermitteln kann, sondern eine Art von Ernährungsbildung, die viele Menschen erst wieder lernen müssen. Die Schule wäre ein guter Ort dafür. Ich habe meine Kinder mal mit zum Schlachter im Dorf genommen und hab ihnen das ausgenommene, aber noch nicht zerlegte Rind gezeigt. Damit sie ein Gefühl dafür kriegen: Da hängt dieses riesige Tier und nur ganz ein kleiner Streifen davon ist das, woraus man das Steak machen kann. Dass da ein Lebewesen für meinen Genuss gestorben ist – das ist eine Erfahrung, die man früher auf dem Land öfter gemacht hat und die die Menschen heute im Supermarkt natürlich nicht mehr vermittelt bekommen.

Es gibt immer mehr jüngere Menschen, die selten oder gar kein Fleisch essen. Nimmt der Fleischkonsum insgesamt noch zu oder kann man von einer Trendwende sprechen?

Die Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass der Fleischkonsum in Deutschland langsam sinkt. Dabei gibt es zwei Strömungen: Einerseits nimmt die Zahl der Flexitarier, Vegetarier, Veganer zu. Andererseits gibt es eine Gruppe, die weiterhin richtig viel Fleisch verzehrt. Es ist also keine homogene Entwicklung. Die Zeiten, als über Vegetarier Witze gemacht wurden, sind aber vorbei. Es ist eine größere Selbstverständlichkeit, fleischlose Gerichte anzubieten. Die Generation, die jetzt heranwächst, ist vertraut mit der Möglichkeit, dass man nicht immer Fleisch isst.

Sie sind ja selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen. Wie ging es Ihnen, als Sie begannen, den Fleischkonsum kritisch zu hinterfragen?

Das war eine interessante Erfahrung. Wir hatten einen Mischbetrieb mit Milchkühen. Mein Vater hatte ein eigentlich ein recht enges Verhältnis zu den Tieren und er hat uns ganz klar vermittelt: Jedes Tier hat einen Charakter und Gefühle. Damals lernte man ja noch im Biologie-Unterricht: Tiere haben Instinkte, nur der Mensch denkt. Und für mich war das immer so ein Widerspruch, dass mein Vater diese Tiere, die er streichelte, die zu ihm kamen, von denen er sagte: Der eine frisst nur, wenn ich ihm vorher etwas mitgebracht habe, der andere ist mondsüchtig, der dritte ist immer zum Streit aufgelegt, also alle hatten quasi einen Charakter. Und trotzdem war es für ihn klar, er lebt davon, sie zu schlachten. Und das habe ich, je älter ich wurde, immer stärker hinterfragt. Aber ich musste erst auf einer Klassenreise in London die erste Vegetarierin meines Lebens kennenlernen, um zu wissen: Ach, man muss gar nicht Fleisch essen, es geht auch ohne. An dem Tag habe ich beschlossen, ich bin jetzt auch Vegetarierin, weil mir die Tiere leidtun. Das hat dann schon zu Diskussionen geführt. Weil es natürlich für jemanden, der Rindfleisch produziert, auch eine Kränkung ist, wenn die eigenen Kinder sagen: Du machst es zwar gut, aber ich will das nicht. Lustigerweise haben dann die Bauern in unserem Dorf bemerkt, dass sie alle vegetarische Kinder hatten. Und alle haben es verschwiegen, weil es ihnen so schrecklich peinlich war. Das fand ich sehr bezeichnend. Das macht etwas mit den Kindern, die nahe an den Tieren sind und sie entscheiden sich gegen den Fleischkonsum. Und die bäuerliche Generation, die noch eine Art bäuerliche Landwirtschaft erlebt hat, für die das ja auch eine Art Überleben war – Sie kennen ja die Geschichten vom Hunger und von den Kriegsflüchtlingen, die sich auf den Bauernhöfen ernähren konnten, und wie wertvoll eine Wurst in diesen Hungerzeiten war – diese Generation hat das dann schon mit Verwunderung wahrgenommen.

Wobei: Das Problem an der Fleischproduktion ist ja nicht so sehr die bäuerliche Viehwirtschaft, die ein Schwein im Jahr für die Großfamilie geschlachtet und verwertet hat. Sondern das, was wir heute in diesen gigantischen Anlagen haben – und da sind die Ställe in Deutschland beinahe noch klein gegen die Tierfabriken in China, in Russland und in den USA. Die Dimension der industrialisierten Fleischproduktion ist das Problem.

Auch in Österreich gibt es keine gigantischen Anlagen mit zigtausenden Tieren. Aber wenn das System ähnlich funktioniert, ist es ja trotzdem industrialisierte Landwirtschaft, oder nicht?

Das ist eine schwierige Geschichte. Ich denke, in Österreich ist die Diskussion noch nicht so aufgeheizt. Aber Sie haben bestimmt die Demonstrationen der Landwirte in Berlin mitbekommen, gegen die Düngemittelverordnung, gegen den Instektenschutz. Und in dieser Lage, wo die Landwirtschaft durch niedrige Erzeugerpreise und höhere Auflagen sehr unter Druck ist, hat sich unter Landwirten das Narrativ verbreitet: Wir werden immer angeklagt und verantwortlich gemacht für alle Probleme der Welt. Und wenn jemand sagt, Fleischessen schadet dem Klima, dann ist es ein Angriff auf uns Landwirte. Deshalb bin vorsichtig pauschal zu sagen, DIE Landwirtschaft. Man muss da schon unterscheiden zwischen bäuerlicher Landwirtschaft und agrarindustriellen Strukturen, ohne dass man genau sagen könnte: Bis zu 99 Kühen ist es gut und ab 100 Kühen ist es schlecht. Es kommt natürlich auf die Strukturen an. Es gibt auch Familienbetriebe mit vier Generationen unter einem Dach, die aber trotzdem Teil eines agrarindustriellen Systems sind, die genetisch veränderte Futtermittel beziehen und ihre Tiere an einen industriellen Schlachthof liefern. Sie sind Teil einer Kette, die zu viel zu billiges Fleisch auf die Märkte wirft. Auch wenn die einzelne Familie versucht, unter diesen Umständen das Beste für ihre Tiere herauszuholen. Deshalb ist es relativ heikel, über das Thema zu sprechen, ohne dass daraus ein Angriff auf alle Landwirte in Deutschland gemacht wird, so wird es ja manchmal geframt. Aber es ist ja möglich, einen Unterschied zu machen und zu sagen: Es gibt auch eine Tierhaltung, die in Ökosysteme passt, die gut für die Ernährung ist, das kann ja Teil von guter Landwirtschaft sein. Aber nur weil es in Österreich keine Ställe mit 30.000 Schweinen gibt, heißt das nicht, das alles in Ordnung ist. Das wäre zu einfach.

Was wäre denn rein aus wirtschaftlicher Sicht der bessere Weg für die Landwirte: Dass wir nur ab und zu hochwertiges Fleisch zu einem höheren Preis essen? Oder sollen wir doch viel es, damit sie halbwegs überleben können?

Wir hatten diese Diskussion gerade bei den Schweinemastbetrieben in Deutschland: Durch eine Reihe von Faktoren – Schweinepest, China schließt den Markt, Corona,   es wird weniger gegrillt – sind die Preise extrem gefallen und die Lager waren voll mit geschlachteten Schweinen. Und sahen es einige als gerechtfertigt, dass ihr Fleisch zu Dumpingpreisen verkauft wurde, damit die Leute endlich wieder grillen und dieser Lager leerkaufen. Das war sozusagen der Appell: Kotelett essen gegen den Preisverfall. Aber das kann ja nicht die Lösung sein. Das fühlte sich in dem Moment für die Betriebe wie eine Erleichterung an, aber es erhält letztlich ein falsches System am Laufen. Was wir brauchen, sind auf regionaler Ebene Zusammenschlüsse zwischen Konsument:innen und Erzeuger:innen, die sich auf ein hohes Niveau beim Schutz der Tiere, der Biodiversität und des Klimas verständigen. Dann können wir sagen: Das ist mein Landwirt, der hat die und die Risiken und Ausgaben, und wenn er die Tiere gut halten soll, dann müssen wir ihm das bezahlen. Das ist eigentlich eine Win-Win-Situation. Die meisten Menschen essen immer noch mehr Fleisch, als gut für ihre Gesundheit wäre. Also müsste man sagen: Esst weniger Fleisch, das ist für euch gesünder und gebt euer Geld aus für Betriebe, wo ihr euch überzeugen könnt, dass sie gut wirtschaften. Wir haben eine neue Regierung in Berlin, und das zu organisieren ist eine große politische Aufgabe. Da spielen die Kommunen und die öffentlichen Kantinen eine wichtige Rolle. Sie könnten sagen: Wir haben zwei Mal in der Woche ein gutes Stück Weidefleisch von einem Betrieb aus der Nähe, der sich auch auf unsere regelmäßige Abnahme verlassen kann. Oder es entstehen eben Zusammenschlüsse nach dem Vorbild der solidarischen Landwirtschaft. Die politische Aufgabe ist es, das so schnell wie möglich zu fördern. Die Betriebe, die im falschen System überschuldet sind, können nicht aus eigener Kraft sagen: Ich steige jetzt um und muss trotzdem wieder diese billigen Preise hinnehmen.

Wie sehen Sie die Diskussion um eine verpflichtende Kennzeichnung von Lebensmitteln in der Gemeinschaftsverpflegung und in der Gastronomie?

Da kommt die Forderung nach einer Beteiligung der Gastronomie interessanterweise von den Diskontern Aldi und Lidl. Sie haben sich ja dazu verpflichtet, die Labels bei der Tierhaltung zu erhöhen und weniger von der schlechten Qualität anzubieten. Und sie sagen: Wir ziehen da mit, aber wir wollen, dass die Gastronomie auch an Bord ist. Denn im Moment läuft die Debatte immer: Die bösen Supermärkte verkaufen Billigfleisch (machen sie ja auch noch immer), aber die Gastronomie ist seltsamerweise völlig aus dieser Diskussion heraußen. Dabei wird immer mehr außer Haus gegessen. Ich kenne das sogar von richtig guten Restaurants in Deutschland, dass sie nichts über die Herkunft ihres Fleisches sagen können. Daher ist es wichtig, dass sie da eingebunden werden. Und diese Kennzeichnung finde ich hervorragend.

Welche politischen Rahmenbedingungen bräuchte es denn?

Wir hatten in Deutschland eine lange Zeit des Reformstaus, wo das konservativ regierte Agrarministerium immer wieder auf die Privatinitiative gesetzt hat, obwohl die Beiräte gesagt haben: Das geht nicht, der mündige Verbraucher ist in vielen Teilen eine Fiktion, weil ihm das Angebot, Wissen, die Zeit usw. fehlen. Man darf es nicht nur auf den Einzelnen abwählen. Jetzt müssen Entwürfe für neue politische Rahmenbedingungen gemacht werden, die nicht nur an einer Stelle ansetzen können. Jetzt wird gerade darum gerungen, ob öffentliches Geld in den Umbau der Tierhaltung gesteckt wird und wenn ja, wie es finanziert wird. In der Ampelregierung wollen die Grünen das wohl eher und die Liberalen sagen: Auf gar keinen Fall eine Steuererhöhung. Es bräuchte aus meiner Sicht aber schon eine höhere Steuer, etwa auf Fleisch mit Ausnahme von Weidefleisch, und auch eine Steuer auf Pestizide und künstliche Mineraldünger, weil das ein Druck von außen wäre, der eine vielfältigere Landwirtschaft mit weniger Tieren zur Folge hätte. Gleichzeitig müssen auch die Förderprogramme den Betrieben helfen, auch die Genehmigungspraxis ist schwierig, also das wird die Kunst sein, auf vielen Ebenen gleichzeitig zu handeln.

Gleichzeitig ist auch die Struktur des Handels noch ein Riesenthema. Im Moment haben wir Millionen von Konsument:innen, wir haben hunderttausende Landwirt:innen und dazwischen sitzt eine Handvoll Unternehmen im Handel, in der Verarbeitung, in der Lebensmittelindustrie und die sind ja immer wieder kartellrechtlich aufgefallen: Dass die Preisbildung nicht richtig funktioniert und dass das Marktverhältnis sehr ungleich ist. Deshalb wäre mein Ansatz, nach dem Vorbild der Ökomodellregion regionale Wertschöpfungsketten aufzubauen und zu fördern und an die öffentliche und private Außer-Haus-Versorgung zu binden. Es gibt da ja bereits viele Initiativen. Und das muss systematisch mit Umwelt- und Tierschutzzielen und mit dem Umbau der Betriebe verbunden werden.

Sehen Sie positive politische Entwicklungen, wo man von einzelnen Ländern lernen könnte?

Es gibt dieses wunderschöne Beispiel von dem indischen Bundesstaat Sikham, der 100 Prozent Biolandwirtschaft beschlossen hat. Das ist wahrscheinlich nicht zufällig ein Land im Himmalaya, wo man nicht mit großflächiger Landwirtschaft Geld verdienen kann. In Deutschland hat die Zukunftskommission Landwirtschaft, die noch von Angela Merkel eingesetzt wurde, nachdem die Bauernproteste quasi ganz Berlin lahmgelegt hatten, zum ersten Mal ein Zusammengehen der zerstrittenen Verbände Umwelt und Agrar ergeben hat. Und zumindest auf Funktionärsebene scheint klar zu sein, dass die Ziele zusammengedacht werden müssen, und dass man nicht sagen kann: Man macht gute Preise für Landwirte, ohne Umwelt und Biodiversität mitzudenken. Das wurde zumindest indirekt durch die Politik angestoßen. Und ich glaube, es gibt so viel gesellschaftlichen Aufbruch, von dem man sehr gut lernen könnte. Wir sind optimistisch, weil es eine neue Regierung gibt. Und jetzt sind alle ganz gespannt, was aus den vielen Vorschlägen der wissenschaftlichen Beiräte wird. Auch in England gibt es nach dem Brexit ein paar Agrarentscheidung, die gar nicht so schlecht sind. Also da gibt es schon ein bisschen Hoffnung, auch wenn die Situation verfahren ist und die Profiteure des Systems ja auch nicht schweigen.

Corona prägt jetzt seit zwei Jahren unser Leben. Es ist nicht die erste Pandemie, und wahrscheinlich auch nicht die letzte, wo man bei der Frage des Ursprungs rasch auf unseren problematischen Umgang mit Tieren stößt – also auf die Massentierhaltung und die fortschreitende Zerstörung von Lebensräumen. Ist es nicht seltsam, dass über dieses Thema so wenig diskutiert wird?

Ich glaube, es müsste erstmal viel öfter darüber berichtet werden. Natürlich kann die Forschung noch nicht genau sagen, woher das Virus kam. Aber klar ist, dass das riesige Viren-Resservoir etwa in Fledermäusen uns bei weiterer Naturzerstörung auch gefährdet. Und die nächste Seuche züchten wir uns ja quasi schon mit der Vogelgrippe heran. Es gab gerade wieder einen Fall, wo sich ein Mensch infiziert hat, der sehr eng mit Vögeln zusammengelebt hatte. Wenn sich dieses Virus weiter verändert und mutiert, dann sind natürlich diese gigantisch großen Ställe ein großes Risiko. Und wenn das auf den Menschen überspringt, dann war Corona möglicherweise wirklich nur eine kleine Grippe gegen das, was dann passieren könnte. Da finde ich auch die Berichterstattung über die Gefährdung der biologischen Vielfalt und Artensterben sehr lückenhaft. Weil dieser Zusammenhang zwischen dem Zerstören von Ökosystemen und unserem Eingriff in die Tierwelt, das ist ja in den Medien überhaupt nicht präsent. Und das Narrativ ist ja immer: Das Leben nach Corona soll wieder normal werden, im Sinne: Es soll wieder so werden wie vorher. Und das ist ja eigentlich auch schon ein tückischer Gedanke, weil klar ist, es kann kein Zurück zu einem Vorher geben, sondern zu einem ganz anderen Umgang mit Mensch und Natur geben. Daher sollte nicht gesagt werden: Das ist jetzt die Ausnahme, wir gehen zurück ins Normal, sondern man das mit einer Transformation zu viel mehr Nachhaltigkeit verbinden.

Sollen wir also alle Vegetarier werden, oder Veganer oder ab und zu ein Stück Fleisch essen?

Da wäre mein Vorschlag, sich an dem Planetary Health Guide zu orientieren, dem Versuch von Ressourcenforscher und Ernährungsmedizinern herauszufinden: Wie kann man sich eigentlich ernähren, so dass die planetaren Grenzen bei Klima, Biodiversität, Stoffströmen, Müll usw. nicht überschritten werden und es gleichzeitig für mich gesund ist. Und da kommt dann ein Ei pro Woche raus und ein kleines Stück Fleisch. Und wenn jemand kein Fleisch isst, bleibt für den anderen mehr übrig, da kann man sich ja familienweise zusammenschließen. Dieser Gedanke, finde ich, muss neu sein: Es gibt ein Budget, das wird verteilt und so viel kann man völlig ohne schlechtes Gewissen essen, aber mehr eben auch nicht, weil es auf Kosten von anderen geht. Als positives Bild: Wenn man es schafft, in Mitteleuropa wieder große zusammenhängende Weidelandschaften zu errichten, wo Tiere übers Land ziehen und weiden, dann produziert man Biodiversität, Humusaufbau, Klimaschutz und ermöglicht den Tieren ein gutes Leben. Das kann aber nicht der einzelne Landwirt orchestrieren, sondern da müsste es auf regionaler Ebene eine Agrarflächenplanung geben, die immer auch verbunden sein muss mit den Abnehmern in den Restaurants, in den Kantinen, also mit dem Aufbau von Wertschöpfungsketten. Und wenn man das alles zusammendenkt und kommuniziert, das wäre ein Weg, wo man Synergien erreichen. Und es würde allen gut tun.

Zur Person
Die Journalistin, Moderatorin und Autorin Tanja Busse ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Sie schrieb u.a. für die Süddeutsche, Die Zeit und den Freitag. 2015 erschien ihr Buch „Die Wegwerfkuh“, 2019 „Das Sterben der anderen. Wie wir die biologische Vielfalt noch retten können“, 2021 „Fleischkonsum. 33 Fragen und Antworten“. Infos & Entlehnung >>

Interview: Christian Köpf, Sigrun Zwanzger