Wo stehen wir beim Klimaschutz? Von wem können wir lernen? Warum gewinnen Klimawandelleugner die Wahlen? Und gibt es auch gute Nachrichten? Der Klimaökonom und neue Vorsitzende von Welthaus, Karl Steininger, im Interview.
Beim Pariser Klimaabkommen haben 195 Staaten vereinbart, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Laut Wegener Center haben wir Im Vorjahr dieses Ziel mit 1,62 Grad erstmalig überschritten. Gut sieht es nicht aus, oder?
KARL STEININGER: Mit der derzeitigen Politik steuern wir weltweit auf 3,1 Grad zu. Wenn alle im Kontext des Pariser Abkommens seither gegebenen Versprechen weltweit eingehalten werden, auf 2,6 Grad. Bereits der Unterschied zwischen 1,5 Grad auf 2 Grad ist dramatisch: Der Anteil der Weltbevölkerung, der von extremen Hitzewellen betroffen ist, steigt von 14 auf 37 Prozent. Mit allen direkten Gesundheitsfolgen, aber auch einer stark veränderten Nahrungsmittelverfügbarkeit.
Gibt es etwas, das Sie optimistisch stimmt?
Die extrem gefallenen Produktionskosten erneuerbarer Energie. Photovoltaik (PV) wurde in den letzten zehn Jahren um den Faktor 10 billiger – kostet also nur mehr ein Zehntel – oder Speicher um den Faktor 8. Das hat wesentlich dazu beigetragen, dass 2024 weltweit die Investitionen in grüne Energie doppelt so hoch waren wie in fossile. Viele Staaten haben klare Zielsetzungen zur Reduktion der Emissionen, wie etwa die EU mit dem Green Deal. Großbritannien will die Emissionen bis 2035 gegenüber 1990 um 81 Prozent reduzieren. Selbst die Ölstaaten haben ambitionierte Ziele, die Vereinigten Arabischen Emirate peilen eine Reduktion um 47 Prozent an. China hat 2024 in erneuerbare Energien mehr investiert als alle anderen Länder zusammen. In einigen Staaten ist die Dramatik und Notwendigkeit den politischen Entscheidungsträger:innen sehr bewusst und sie handeln danach.
Global gesehen: Von wem können wir klimapolitisch lernen?
Einerseits von den nordeuropäischen Ländern. Schweden etwa hat einen quer über die Parteien ausgehandelten klimapolitischen Prozess: Jedes Jahr gibt das Treibhausgasmonitoring (es prüft, ob das Emissions-Budget eingehalten wird) ein halbes Jahr vor dem Budgetbeschluss die Vorgabe, ob bzw. wo mit politischen Maßnahmen nachgebessert werden muss. Oder eben China, das in seinen 5-Jahres-Plänen seit 2001 konsequent und stufenweise die Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft verfolgt – und sich weltweit die Vorsprünge in zentralen Technologien gesichert hat: Drei von vier Batterien für E-Autos kommen aus China oder 90 Prozent zentraler PV-Technologiekomponenten der EU. Klimaschutz ist ein ganz klarer Wirtschaftsfaktor und sichert den Wirtschaftsstandort.

Schafe, die neben einer Photovoltaik-Anlage grasen: Die Kombination von Landwirtschaft mit der Gewinnung erneuerbarer Energie ist eine vielversprechende Maßnahme im Kampf gegen die Klimakrise. Foto: Moser
Wie beurteilen Sie Österreichs Klimapolitik? Und was wünschen Sie sich von der nächsten Regierung?
In Österreich wurde in den letzten Jahren klimapolitisch so viel umgesetzt wie noch nie zuvor: vom nationalen CO2-Preis mit dem sozial ausgleichenden Klimabonus über das Klimaticket und den Heizungstausch bis zur Transformation der Industrie. Das führte dazu, dass die Emissionen erstmals in dieser Höhe und zwei Jahre hintereinander um jeweils rund sechs Prozent gesunken sind. Leider brachte die Regierung den zeitlich festgelegten fixen Umstieg auf erneuerbare Heizungen nicht durch, sondern musste sich auf Förderungen als Anreiz dafür beschränken. Von der nächsten Regierung wünsche ich mir, den Weg zur Klimaneutralität konsequent weiterzugehen und keinen Rückfall zuzulassen. Und auf Basis einer möglichst viele mitnehmenden Zukunftsarbeit den Weg zur Klimaneutralität abzusichern, auch als zentrale Maßnahme zur langfristigen Sicherung des Wirtschaftsstandorts.
In einigen Staaten ist die Dramatik und Notwendigkeit den politischen Entscheidungsträger:innen sehr bewusst und sie handeln danach.
Weltweit häufen sich Wetterextreme als Folge der Erderwärmung. Im Sommer stand halb Niederösterreich unter Wasser. Dennoch gewinnen bei Wahlen oft jene, die den menschengemachten Klimawandel kleinreden: In den USA Trump, in Österreich die FPÖ. Wie ist das erklärbar?
Umfragen in den USA wie auch hierzulande zeigen, dass sich klare Mehrheiten wegen der Klimakrise sorgen. Den scheinbaren Widerspruch im Wahlverhalten erkläre ich mir so: Viele haben Angst vor Veränderung. Ein Umstieg im Verkehrsmittel, in der Ernährung, im Heizsystem: Wir wissen vorher nicht so genau, wie es sein wird und bleiben sicherheitshalber mal lieber beim Bestehenden. Bei Wahlentscheidungen liegt die Priorität nicht auf Klimaaspekten. Vielmehr dominiert die Sorge, etwas vom Lebensstandard verlieren zu können. So wählt man jene, die dessen Beibehaltung am scheinbar sichersten versprechen.
Könnte man den Übergang zu einer klimafreundlichen Lebensweise nicht auch als Chance sehen?
Ja, genau das ist der Kern. Ausgelöst durch die Klimakrise können wir uns zusammensetzen und herausfinden, wie wir in Zukunft leben wollen. Vieles, was uns derzeit nicht gefällt – etwa lange Pendlerwege – könnten wir gleich mit lösen. Eine Anekdote: Beim steirischen Klimarat der Bürger:innen meinte eine Teilnehmerin nach der gemeinsam erarbeiteten Vision: Sie sei schon lange nicht mehr so voller Energie mit dem Rad heimgefahren. Weil es nicht um die Frage ging: „Wie schlimm ist die Klimakrise?“ Sondern darum: „Wir können gestalten, wie wir in Zukunft leben wollen!“ Und das macht viel Freude, gibt Kraft und Energie: Nicht mehr abhängig zu sein von russischem Erdgas, sondern einen Teil der Energie daheim zu produzieren. Oder die Gesundheitsvorteile von aktiver Mobilität zu genießen. Oder zu erfahren, wie Klimaschutz schmeckt.
ZUR PERSON
Univ.-Prof. Mag. Dr. Karl W. Steininger ist seit 1. November 2024 Vorsitzender des Kuratoriums von Welthaus Graz. Steininger ist Professor für Klimaökonomik und Nachhaltige Transition am und Leiter des Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz. Er forscht zu den ökonomischen Folgewirkungen des Klimawandels, sowie insbesondere zu den Emissionsminderungs-Optionen in einer global vernetzten Welt. Er berät Forschungsinstitutionen, internationale Einrichtungen und Politiker:innen.
Wenn es in Österreich um die Klimakrise geht, kommt man am Grazer Wegener Center nicht vorbei. Welche Mission hat Ihr Institut?
Wir ermitteln Fakten zum Klimawandel wissenschaftlich und stellen sie der Gesellschaft zur Verfügung. Wir beobachten, welche Veränderungen wir bereits messen können, wie Menschen und Ökosysteme vom Klimawandel betroffen sind und wie Anpassung möglich ist. Aber auch, wie die Erreichung der Klimaziele möglich ist, physikalisch, technisch, ökonomisch. Und wie eine gerechte Verteilung über die Bevölkerungsgruppen gestaltbar ist.
Seit kurzem sind Sie auch Vorsitzender des Vorstandes von Welthaus. Wohin geht die „gemeinsame Reise“?
Der Klimawandel macht uns immer mehr bewusst, wie sehr wir „Eine Welt“ sind, ganz stark voneinander abhängig. Welthaus öffnet nicht nur unseren Blick dahin, sondern vor allem auch unser Handeln: Wie wir mitwirken können an einem global gerechten, guten Leben für alle Menschen. Ein Ziel ist es, das Bewusstsein dafür in Österreich weiter zu stärken, die Freude an dieser Mitgestaltung zu wecken – inmitten einer sehr diffusen Medienlandschaft gerade auch für Jugendliche. Und aus persönlichen Begegnungen mit Menschen aus anderen Ländern können wir viel für unser eigenes Leben lernen.
Wenn ich persönlich Maßnahmen zum Klimaschutz umsetzen möchte – was würden Sie mir raten?
Das kann eine Frage der EHRE sein – Essen: Was esse ich? Heizen: (Wie) kann ich auf Erneuerbare oder Fernwärme umsteigen? Reisen: Welche Verkehrsmittel wähle ich, welchen Wohnort? Und Einkaufen: Kaufe ich langlebige Produkte ein? Und – ganz wichtig – über das eigene Verhalten hinaus: Wo sehe ich Strukturen, die es schwierig machen, klimafreundlich und global gerecht zu leben? Und wie kann ich gesellschaftspolitisch aktiv werden, diese zu ändern?
Interview: Christian Köpf
Das Interview erschien in der 47. Ausgabe der Zeitschrift Welthaus Info. Hier geht’s zum E-Paper